Paul Sahner ist gestorben. Mit 70 Jahren. Herzinfarkt. Sein
Tod berührt mich, denn ich kannte ihn! Mit seinem grauen, stets akkurat getrimmten Haar, blitzenden Augen und einem locker
sitzendem Schal um den Hals, stach er am großen Konferenztisch, um den sich die
Bunte-Redaktion allmorgendlich zum
Meeting versammelt, hervor. Selbst dann, wenn er nichts sagte. Immer wieder
schielte ich aus der zweiten Reihe, in der die Jungredakteure und freien
Mitarbeiter sitzen, zu ihm herüber.
Im Gerangel um Zuständigkeiten und Kompetenzen
sowie beim Buhlen der Kollegen um die Gunst von Chefredakteurin Patricia
Riekel, stand Paul Sahner über den Dingen. Wenn gegen Ende eines Meetings die
Beauty-Tanten ihre Themenvorschläge vorsäuselten, war er in Gedanken längst bei
Wichtigerem.
In seinem Büro stand ein Fernseher, aber kein Computer. Seine
Texte verfasste er handschriftlich. Interviews zeichnete er auf und ließ sie
abtippen. Auf und um seinen Schreibtisch stapelten sich Papierballen,
Dokumente, Manuskripte, Bücher, Zeitschriften und Einladungen zu Türmen. Seine papierne Schreibtischunterlage vollgekritzelt bis zum Rand mit Telefonnummern von Publikumslieblingen wie Michelle Hunziker, Wolfgang Joop, Helmut Berger und Uli Hoeneß. Das hatte Stil. Ebenso seine Art der
Gesprächsführung mit Prominenten. Ein Telefoninterview, mit einer
Frauenrechtlerin, welches wir zusammen führten, dass letztlich einer
Promi-Scheidung weichen musste und auch später nie gedruckt wurde, hat mich
gelehrt, dass das eigene Ego im Gespräch mit Celebrities nichts zu suchen hat. So verlockend es auch
sein mag, dem Promi zu verklickern, wie sehr man doch seiner Meinung ist, wie
toll man seinen neuen Film findet oder das man schon immer ein Fan war, die
Reporter-Befindlichkeit hat außen vor zu bleiben. Eine Binse, die
Journalistenschüler schon am ersten Tag ihrer Ausbildung lernen, die aber insbesondere
Vertretern des Boulevard-Journalismus auf ihrem Weg zum Ressortleiter aus dem
Gedächtnis zu fallen scheint. Nicht so Sahner. Obwohl dieser in einem Interview
mit der SZ einräumt, eitel zu sein, fiel
während unseres Interviews mit der Frauenrechtlerin nicht ein einziges
Mal, das Wort "Ich".
Nach der
Befragung aßen wir zusammen zu Mittag, und ich fühlte mich irgendwie "besonders",
glaubte ich doch die Blicke der Burda Mitarbeiter auf uns zu spüren. Jeder im
Verlag schien ihn zu kennen. Was uns verband war die Leidenschaft für glamouröse Society-Eskapaden
und Charakterköpfe. Fingierte PR-Interviews, Auswürfe des Trash-TVs oder
antiseptische It-Couples, wie Olivia Palermo und Johannes Huebl interessierten
weder ihn noch mich. Sahner konnte sich diese Haltung leisten, im Gegensatz zu mir. Im Bereich
des People-Journalismus musste ich mich erst noch beweisen. Sahner war mein
Vorbild.
Wir machten uns lustig über Redakteurinnen, die stolz ihren
MCM-Shopper spazieren trugen, aber nicht wussten wer Michael Cromer war. Wir schmunzelten
über Kolleginnen, die lieber für Vogue arbeiten wollten, mit dem Namen Angelica
Blechschmidt aber nichts anfangen konnten. Wir schlugen fassungslos die Hände
über den Kopf, als wir auf selbsternannte
Society-Experten zu sprechen kamen, die den Begriff Bussi-Bussi–Gesellschaft zwar
blind tippen können, aber noch nie etwas von Werner Wunderlich oder Reimer Claussen
gehört hatten. Nach zwei Tagen endete unsere Zusammenarbeit. Das Interview war
im Kasten. Ich stellte meine Rechnung, arbeitete an anderen bunten Themen, mit anderen Redakteuren weiter.
Keiner von ihnen verfügte über die Kultiviertheit, Klasse und Entspanntheit
Sahners. Heute schreibe ich für andere Magazine. Paul Sahner begleitet mich
dabei in meinem Kopf. R.I.P., lieber Paul!