Montag, 8. Juni 2015

ABGESAHNT: ZUM TODE VON PAUL SAHNER

Paul Sahner ist gestorben. Mit 70 Jahren. Herzinfarkt. Sein Tod berührt mich, denn ich kannte ihn! Mit seinem grauen, stets akkurat getrimmten Haar, blitzenden Augen und einem locker sitzendem Schal um den Hals, stach er am großen Konferenztisch, um den sich die Bunte-Redaktion  allmorgendlich zum Meeting versammelt, hervor. Selbst dann, wenn er nichts sagte. Immer wieder schielte ich aus der zweiten Reihe, in der die Jungredakteure und freien Mitarbeiter sitzen, zu ihm herüber. 

Im Gerangel um Zuständigkeiten und Kompetenzen sowie beim Buhlen der Kollegen um die Gunst von Chefredakteurin Patricia Riekel, stand Paul Sahner über den Dingen. Wenn gegen Ende eines Meetings die Beauty-Tanten ihre Themenvorschläge vorsäuselten, war er in Gedanken längst bei Wichtigerem. 

In seinem Büro stand ein Fernseher, aber kein Computer. Seine Texte verfasste er handschriftlich. Interviews zeichnete er auf und ließ sie abtippen. Auf und um seinen Schreibtisch stapelten sich Papierballen, Dokumente, Manuskripte, Bücher, Zeitschriften und Einladungen zu Türmen. Seine papierne Schreibtischunterlage vollgekritzelt bis zum Rand mit Telefonnummern von Publikumslieblingen wie Michelle Hunziker, Wolfgang Joop, Helmut Berger und Uli Hoeneß. Das hatte Stil. Ebenso seine Art der Gesprächsführung mit Prominenten. Ein Telefoninterview, mit einer Frauenrechtlerin, welches wir zusammen führten, dass letztlich einer Promi-Scheidung weichen musste und auch später nie gedruckt wurde, hat mich gelehrt, dass das eigene Ego im Gespräch mit Celebrities  nichts zu suchen hat. So verlockend es auch sein mag, dem Promi zu verklickern, wie sehr man doch seiner Meinung ist, wie toll man seinen neuen Film findet oder das man schon immer ein Fan war, die Reporter-Befindlichkeit hat außen vor zu bleiben. Eine Binse, die Journalistenschüler schon am ersten Tag ihrer Ausbildung lernen, die aber insbesondere Vertretern des Boulevard-Journalismus auf ihrem Weg zum Ressortleiter aus dem Gedächtnis zu fallen scheint. Nicht so Sahner. Obwohl dieser in einem Interview mit der SZ einräumt, eitel zu sein, fiel  während unseres Interviews mit der Frauenrechtlerin nicht ein einziges Mal, das Wort  "Ich". 

Nach der Befragung aßen wir zusammen zu Mittag, und ich fühlte mich irgendwie "besonders", glaubte ich doch die Blicke der Burda Mitarbeiter auf uns zu spüren. Jeder im Verlag schien ihn zu kennen. Was uns verband war die Leidenschaft für glamouröse Society-Eskapaden und Charakterköpfe. Fingierte PR-Interviews, Auswürfe des Trash-TVs oder antiseptische It-Couples, wie Olivia Palermo und Johannes Huebl interessierten weder ihn noch mich. Sahner konnte sich diese Haltung leisten, im Gegensatz zu mir. Im Bereich des People-Journalismus musste ich mich erst noch beweisen. Sahner war mein Vorbild.

Wir machten uns lustig über Redakteurinnen, die stolz ihren MCM-Shopper spazieren trugen, aber nicht wussten wer Michael Cromer war. Wir schmunzelten über Kolleginnen, die lieber für Vogue arbeiten wollten, mit dem Namen Angelica Blechschmidt aber nichts anfangen konnten. Wir schlugen fassungslos die Hände über den Kopf,  als wir auf selbsternannte Society-Experten zu sprechen kamen, die den Begriff Bussi-Bussi–Gesellschaft zwar blind tippen können, aber noch nie etwas von Werner Wunderlich oder Reimer Claussen gehört hatten. Nach zwei Tagen endete unsere Zusammenarbeit. Das Interview war im Kasten. Ich stellte meine Rechnung, arbeitete an anderen  bunten Themen, mit anderen Redakteuren weiter. Keiner von ihnen verfügte über die Kultiviertheit, Klasse und Entspanntheit Sahners. Heute schreibe ich für andere Magazine. Paul Sahner begleitet mich dabei in meinem Kopf. R.I.P., lieber Paul!