Freitag, 23. Oktober 2015

Instyle: Ikone geht, Digital kommt!

Die Nachricht kam selbst für Mode- und Medienschaffende überraschend. Annette Weber, seit 2007 Chefredakteurin der monatlich erscheinenden Fashiongazette Instyle, Deutschlands auflagenstärksten Modemagazin, muss ihren Chefsessel für Kerstin Weng, 33, räumen. 

Weng, die an der AMD München Modejournalismus studierte, kommt von Stylight. Einem sich dem e-Commerce zuordnenden Unternehmen mit einer Website, die vorgibt irgendetwas mit Mode zu tun zu haben, sich aber nicht entscheiden kann, ob sie nun lieber Suchmaschine,  Webshop, Onlinemagazin oder Streetstyleblog sein will. Ermüdend unübersichtlich und schmerzlichst oberflächlich. 

Weng sollte dem Portal mehr redaktionelle Relevanz verleihen, es als digitale Medienmarke etablieren, und gab für die Zuwendung zum "Onlinejournalismus" vor knapp einem Jahr ihren prestigeträchtigen Job als Chefredakteurin der Cosmopolitan nach nicht einmal zwei Jahren auf. "Ich liebe Print, aber noch mehr liebe ich guten Journalismus", begründete sie damals offiziell ihre Entscheidung. "Der Printmarkt ist in weiten Teilen gesättigt, die Sparmaßnahmen der Verlage sind ganz eindeutige Zeichen dafür", schob sie noch hinterher.

Mit kompetentem Modejournalismus bringt Stylight allerdings kaum jemand in Verbindung. Was wohl weniger Weng anzulasten ist, als vielmehr den herrschenden Unternehmensstrukturen. Nebenbei sei erwähnt, dass keiner der vier Stylight-Gründer etwas mit Mode am Hut hat, wie Weng in einem Interview mit dem Medienmagazin Horizont selbst einräumte. Durfte Weng nicht so, wie sie gerne wollte? Zu ihrem Einstieg bei Stylight verkündete sie noch: "Ich freue mich, als Modejournalistin zu meinen inhaltlichen Wurzeln zurückzukehren und meine Qualitäten in einem Onlineprodukt, für das ich brenne, einzubringen." Die Leidenschaft muss schon nach kürzester Zeit auf Sparflamme gelodert haben. Waren Resonanz und Anerkennung bei Stylight zu gering, oder das Angebot von Burda einfach zu lukrativ? Weng ist entweder verdammt gut, extrem ehrgeizig oder einfach strategisch klug vernetzt. Möglicherweise auch alles zusammen. Sicher ist, dass Weng ab dem 01.02.2016 (wieder) für Gedrucktes als auch Digitales rackern wird. 

Die Erwartungshaltung der Mode-Meute ist hoch, weil Webers hinterlassene Fußstapfen so groß sind. Die Erwartungen des Burda Verlages sind sogar noch um einiges höher, weil die Verlagsleitung endlich einmal Geld mir ihrem redaktionellen Online-Klimbim verdienen will. 

Manuela Kampp-Wirtz, Chefin der Burda Style Group und somit aller Frauentitel des Hauses zur neuen Personalie: „Kerstin Weng war unsere Wunschkandidatin für die Nachfolge von Annette Weber. Sie vereint journalistisches Gespür und eine große Fashion-Expertise mit digitalem Know-how. Ihr Auftrag ist es, den Aufbau der Multimedia-Redaktion weiter voranzutreiben.“ 

Daraus lässt sich lesen: Der Chefredakteur von heute ist nicht nur ein exzellenter Schreiber, Experte, sondern auch qualifizierter Content-Manager. So zumindest die Wunschvorstellungen der leitenden Verlagshyänen.

Da dass Herz begabter und passionierter Schreiber aber in der Regel nicht für Klickraten schlägt, und technikbegeisterte Social-Media-Connaisseure in der Regel kein Talent für schöngeistige Formulierungen haben, bleibt es fraglich, ob der Trend zur Vereinheitlichung von Print- und Onlineredaktion überhaupt zukunftsfähig ist. Im Falle von "Netti" Weber steht eine namhafte Gefolgschaft aus Branchenleuten hinter ihr, die ihren Unmut über den Switch bereits auf Facebook öffentlich gemacht hat. Ob Instyle seine Relevanz als Trendbibel ohne Annette Weber halten kann?




Montag, 8. Juni 2015

ABGESAHNT: ZUM TODE VON PAUL SAHNER

Paul Sahner ist gestorben. Mit 70 Jahren. Herzinfarkt. Sein Tod berührt mich, denn ich kannte ihn! Mit seinem grauen, stets akkurat getrimmten Haar, blitzenden Augen und einem locker sitzendem Schal um den Hals, stach er am großen Konferenztisch, um den sich die Bunte-Redaktion  allmorgendlich zum Meeting versammelt, hervor. Selbst dann, wenn er nichts sagte. Immer wieder schielte ich aus der zweiten Reihe, in der die Jungredakteure und freien Mitarbeiter sitzen, zu ihm herüber. 

Im Gerangel um Zuständigkeiten und Kompetenzen sowie beim Buhlen der Kollegen um die Gunst von Chefredakteurin Patricia Riekel, stand Paul Sahner über den Dingen. Wenn gegen Ende eines Meetings die Beauty-Tanten ihre Themenvorschläge vorsäuselten, war er in Gedanken längst bei Wichtigerem. 

In seinem Büro stand ein Fernseher, aber kein Computer. Seine Texte verfasste er handschriftlich. Interviews zeichnete er auf und ließ sie abtippen. Auf und um seinen Schreibtisch stapelten sich Papierballen, Dokumente, Manuskripte, Bücher, Zeitschriften und Einladungen zu Türmen. Seine papierne Schreibtischunterlage vollgekritzelt bis zum Rand mit Telefonnummern von Publikumslieblingen wie Michelle Hunziker, Wolfgang Joop, Helmut Berger und Uli Hoeneß. Das hatte Stil. Ebenso seine Art der Gesprächsführung mit Prominenten. Ein Telefoninterview, mit einer Frauenrechtlerin, welches wir zusammen führten, dass letztlich einer Promi-Scheidung weichen musste und auch später nie gedruckt wurde, hat mich gelehrt, dass das eigene Ego im Gespräch mit Celebrities  nichts zu suchen hat. So verlockend es auch sein mag, dem Promi zu verklickern, wie sehr man doch seiner Meinung ist, wie toll man seinen neuen Film findet oder das man schon immer ein Fan war, die Reporter-Befindlichkeit hat außen vor zu bleiben. Eine Binse, die Journalistenschüler schon am ersten Tag ihrer Ausbildung lernen, die aber insbesondere Vertretern des Boulevard-Journalismus auf ihrem Weg zum Ressortleiter aus dem Gedächtnis zu fallen scheint. Nicht so Sahner. Obwohl dieser in einem Interview mit der SZ einräumt, eitel zu sein, fiel  während unseres Interviews mit der Frauenrechtlerin nicht ein einziges Mal, das Wort  "Ich". 

Nach der Befragung aßen wir zusammen zu Mittag, und ich fühlte mich irgendwie "besonders", glaubte ich doch die Blicke der Burda Mitarbeiter auf uns zu spüren. Jeder im Verlag schien ihn zu kennen. Was uns verband war die Leidenschaft für glamouröse Society-Eskapaden und Charakterköpfe. Fingierte PR-Interviews, Auswürfe des Trash-TVs oder antiseptische It-Couples, wie Olivia Palermo und Johannes Huebl interessierten weder ihn noch mich. Sahner konnte sich diese Haltung leisten, im Gegensatz zu mir. Im Bereich des People-Journalismus musste ich mich erst noch beweisen. Sahner war mein Vorbild.

Wir machten uns lustig über Redakteurinnen, die stolz ihren MCM-Shopper spazieren trugen, aber nicht wussten wer Michael Cromer war. Wir schmunzelten über Kolleginnen, die lieber für Vogue arbeiten wollten, mit dem Namen Angelica Blechschmidt aber nichts anfangen konnten. Wir schlugen fassungslos die Hände über den Kopf,  als wir auf selbsternannte Society-Experten zu sprechen kamen, die den Begriff Bussi-Bussi–Gesellschaft zwar blind tippen können, aber noch nie etwas von Werner Wunderlich oder Reimer Claussen gehört hatten. Nach zwei Tagen endete unsere Zusammenarbeit. Das Interview war im Kasten. Ich stellte meine Rechnung, arbeitete an anderen  bunten Themen, mit anderen Redakteuren weiter. Keiner von ihnen verfügte über die Kultiviertheit, Klasse und Entspanntheit Sahners. Heute schreibe ich für andere Magazine. Paul Sahner begleitet mich dabei in meinem Kopf. R.I.P., lieber Paul!


Samstag, 31. Januar 2015

Textet Tillmann Prüfer ohne zu prüfen?




Ist es Abhängigkeit oder Ahnungslosigkeit, dass Tillmann Prüfer eine Kooperation zwischen Marke und Blogger mal wieder in höchsten Tönen überbewertet? In seiner Stilkritik im Zeit Magazin vom 29. Januar dichtet der Modeexperte einem schlichten Turnschuh von Kangaraoos eine gewisse Großartigkeit an. Doch groß scheint nur die seitenfüllende Abbildung des Treters. Der Schuh selbst ist weiß, und...ähm, nun ja, er hat eine rote Schlaufe an der Ferse. 

Seinen Gestaltern, den bloggenden Jungs von Dandy Diary, Carl Haupt und David Roth attestiert Prüfer dennoch wahres Revoluzzertum. Weist ihnen in seinem Text die Rolle der Infragsteller, Umwerter und Punks zu. Schließlich halte Dandy Diary mit seinen "rüpelhaften" Aktionen dem Modebetrieb einen Spiegel vor, so der Autor. In ihren Handlungen (Fashion-Porno, Nacktflitzer bei einer Modenschau von Dolce & Gabbana) will er gar eine tieferliegende Wahrheit sehen. Dandy Diary sei die enttäuschte Liebe zweier Provokateure. Enttäuscht darüber, dass der Mode alles "wurschtegal" ist. Zum Beispiel die Art wie Kleidung produziert wird.  Aber auch dass auf den Schauen zunehmend "klein gedachte" Entwürfe gezeigt würden, dass Designer nur noch Mode machen, die Kunden auch tatsächlich tragen wollen. 

Dass insbesondere an zuletzt genanntem Punkt nichts falsch ist, weiß auch Prüfer. Doch benötigt er diese Auflistung als Überleitung zur eigentlichen Nachricht, dem von Haupt und Roth gestalteten Sneaker für Kangaroos. Wo und zu welchen Bedingungen dieser hergestellt wurde bleibt unerwähnt. Warum das Modell eine ganze Seite im Zeit Magazin wert ist ebenfalls. Dass der Preis von 360 Euro alles andere als Punk ist, ist dann auch schon fast egal. PR-Mann Roland Hoffman, der in Deutschland die Pressarbeit für die Marke Kangaroos verantwortet, dürfte sich jedenfalls freuen. Als Dandy Diarys Nacktflitzer 2013 die Dolce & Gabbana Show störte, tat er dies in Schuhen von Kangaroos, wie Hoffmann einen Tag später in einer eilig verfassten Rundmail an Pressevertreter wissen ließ. 

Ob Dandy Diary wohl damals schon Geld von dem deutsch-amerikanischen Schuhhersteller kassierten, oder ob dieser erst nach der Aktion auf die beiden aufmerksam wurde? "Die Mode ist in einer schwierigen Lage" schreibt Prüfer zu Beginn seiner Lobhudelei, ohne dies weiter zu verifizieren. Wenn sie das wirklich ist, dann vielleicht auch wegen solch einseitiger Berichterstattung in eigentlichen Leitmedien wie dem Zeit Magazin.